Neu bei FBE: "Abendland" von Rémi De Vos

 

Wo er gewesen sei, fragt die Frau jeden Abend, wenn ihr Mann aus der Kneipe nach Hause kommt. Sie erntet damit stets eine Reihe wüster Beschimpfungen, die mehr Provokation als Kontrollverlust sind und den allabendlichen Kampf einläuten. Rémi De Vos zeigt in seinem Stück Abendland ein Paar um die vierzig, das offensiv ist, wo andere verstummen, und das Sprache, und sei sie noch so rau, zur Annäherung nutzt. Den hemmungslos rassistischen Äußerungen ihres alkoholabhängigen Mannes begegnet die Frau mit zynischer Verachtung. Als Feigling bezichtigt sie ihn und nimmt ihn ins Kreuzverhör, ihr ständiger Kampf richtet sich gegen seine Gleichgültigkeit und diejenige der gesamten westlichen Gesellschaft. Während der Mann sie arrogant und lapidar mit Allgemeinplätzen zur Weißglut treibt, zückt sie seine Impotenz als ihre Waffe und ironisch überzeichnet steuert das Wortgefecht so zielsicher ins humorvoll Absurde. Dass mitten im Gefecht auch einmal die Idee im Raum steht, gemeinsam ans Meer zu fahren, ist keine unerwartete Wendung, denn darauf folgt, wie könnte es anders sein, sofort die Todesdrohung.

Rémi De Vos, 1963 in Dunkerque (Frankreich) geboren, wurde für seine Stücke mit zahlreichen Preisen geehrt und ist einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Dramatiker Frankreichs. In Abendland stehen offene Aggressionen im spannungsreichen Kontrast zu der kontrollierten, kühlen und verknappten Sprache Rémi De Vos' und die Figuren liefern sich, stets an der Grenze zum Lustmord, einen flinken Schlagabtausch. Die Tücken des privat heraufbeschworenen Elends werden in Abendland raffiniert in den Kontext gegenwärtiger Gesellschaftsphänomene gestellt und so gelingt es dem Stück, über sich hinaus zu verweisen.

23.08.2012

Stücke zu dieser Nachricht:
Abendland

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De Vos, Rémi