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Zeit, Liebe und ansteckender Irrsinn

(Undskyld, gamle, hvor finder jeg tiden, kærligheden og den galskab der smitter...?)
von Christian Lollike
Ein Pflegeheimdrama

Deutsch von Gabriele Haefs
3D, 5H

UA: 20.09.2003, Älvsborgsteatern, Boras
DSE: 14.12.2005, Inkunst e.V., München

Im Mittelpunkt von Christian Lollikes Theaterstück stehen die Geschehnisse um das Pflegepersonal und die Bewohner des Pflegeheims "Frydendal". Die alten Leute verbringen ihre Zeit in einem Zustand der Nutzlosigkeit. Biermann spuckt Blut und hört Stimmen; Die Sängerin singt mit schriller Stimme Kinderreime; Don Otto ist blind und raucht dicke Havannas; die senile Kleptomanin Vera geht mit ihren 81 Jahren eine Liebesbeziehung mit ihrem 23-jährigen Pfleger Valentin ein. Zum Pflegepersonal zählen auch Bernhard, ein Medizinstudent, und Öh Walter sowie Frau Frauke, die Leiterin des Pflegeheims, die hohe ethische Ansprüche an sich und das Personal stellt, was die Behandlung der Klienten, wie sie die Alten nennt, angeht. Bernhard und Öh Walter kümmert das wenig: Immer wieder drangsalieren und bestehlen sie ihre alten Schützlinge.

Das durch Routine und langweilige Bürokratie geprägte Leben im Heim wird plötzlich gebrochen, als Biermann und Don Otto ein ungewöhnliches Projekt herbeiphantasieren: den Bau eines Aussichtsturms im Garten des Pflegeheims. Frau Frauke ist von den Plänen begeistert, einerseits aus dem Pflichtgefühl heraus, die Wünsche ihrer Klienten zu respektieren, andererseits sieht sie eine Chance, durch ein solch ungewöhnliches Projekt "Frydendal" weltweit bekannt zu machen. Sehr zum Leidwesen von Bernhard und Öh Walter, die an der geplanten Baustelle im Garten die von den Heimbewohnern erbeuteten Gegenstände vergraben haben.

Biermann macht eine Nah-Tod-Erfahrung und nur Bernhards Reanimation bringt ihn zurück ins Leben. Doch Biermann, dem das Abgeschobensein ohnehin gegen den Strich geht, will nun sterben und verlangt von Don Otto, dass der seinen Herzschrittmacher abstellt, während er schläft. Don Otto aber will nicht allein zurückbleiben, sondern mit seinem Freund gemeinsam in den Tod gehen. Im Moment des Sterbens scheinen sie ihr Glück gefunden zu haben.

Währenddessen schmieden Vera und Valentine Pläne für die Zukunft: Nach anfänglichen Bedenken sind sie ein Paar und wollen zusammenziehen. Doch von einem Tag auf den anderen erleidet Vera einen Demenzschub und erinnert sich an nichts mehr. Die Affäre fliegt auf, und Frau Frauke entlässt Valentine. Dieser wird über den Verlust der Liebe verrückt und nimmt sich das Leben.

Geschickt verwebt Christian Lollike die einzelnen Erzählstränge zu einem gleichwohl poetischen und humorvollen wie sarkastischen und schonungslosen Theaterstück, das durch seinen steten Wechsel zwischen ruhigen und philosophischen Passagen und grotesken und surrealistischen Szenen brilliert. Zeit, Liebe und ansteckender Irrsinn ist ein faszinierendes Stück über das Leben und den Tod, über die Liebe und die Einsamkeit, die Vernunft und den Wahnsinn und darüber, dass und wie diese Gegensätze zu Synonymen werden können. Dabei geht es in dem "Pflegeheimdrama" keineswegs pessimistisch und düster zu, im Gegenteil: Es handelt sich vielmehr in weiten Teilen um ein heiteres, charmantes, geradezu beschwingtes Werk, das von einer unerschöpflichen szenischen Phantasie zeugt. Bis zum Schluss gelingt es dem jungen dänischen Autor Christian Lollike, sein Stück in der Schwebe zu halten und gewohntes Denken durcheinander zu bringen. Entstanden ist ein Text voller Poesie, in dem der Autor seinem Personal gerade soviel mitgibt, wie die Phantasie braucht, um reiche Bühnenfiguren daraus zu schaffen – ein höchst originelles Stück eines jungen, talentierten Dramatikers.