(Le père humilié)
von Paul Claudel
Stück in vier Akten
Neu-Übersetzung 2004
Deutsch von Herbert Meier
Mitarbeit: Yvonne Meier-Haas
3D, 6H
UA: 26.11.1928, Staatliches Schauspielhaus, Dresden
Der Stücktitel spielt auf die Figur des Papstes an,
der in der Folge der Befreiungskriege Garibaldis
den Kirchenstaat verloren hat. In einer Szene im
klösterlichen Kreuzgang versucht ein junger Franziskanermönch,
ihn dazu zu bewegen, auf die Macht
zu verzichten und in franziskanischer Demut zu
leben. Claudels Päpste sind allemal Erniedrigte,
ihrer Macht Beraubte. In der Geisel ist der Papst eine
Geisel Napoleons, im Erniedrigten erlebt er den
Verlust seiner weltlichen Herrschaft.
Die Hauptfigur des Stückes aber ist die Halbjüdin
Pensée de Coûfontaine, die Tochter Louis Turelures
und Sichels. Das Stück beginnt mit einem Maskenfest
in den römischen Gärten des Fürsten Wronsky,
der am folgenden Tag enteignet werden soll. Pensée,
sie ist von Geburt an blind, liebt den jungen Offizier
Orian. Er aber möchte sie seinem Zwillingsbruder
Orso überlassen, der Pensée ebenso liebt. In
einer der großen Szenen des Stückes geleitet Pensée,
ihre Blindheit verbergend, Orian mit geschlossenen
Augen durch die abendlichen Gärten. Nach seinem
Liebesgeständnis gibt sie sich ihm als Blinde zu
erkennen.
Orian und Orso sind Großeneffen des Papstes; ihm
vertrauen sie ihr Liebesproblem an. Es führt in der
Folge zum Claudelschen Paradoxon: Die Liebe als
naturhaftes Begehren erfüllt sich im Verzicht. Die
Unmöglichkeit der Erfüllung steigert zugleich das
Begehren. Orian kann sich für Pensée nicht entscheiden.
Dennoch liebt er sie in der Nacht, bevor
er in den Krieg zieht. Dort fällt er. Orso kehrt aus
dem Krieg zurück und bringt Pensée das Herz des
Gefallenen. Er wird mit ihr die Ehe eingehen, um
das Kind, das sie von Orian erwartet, gesellschaftlich
zu schützen.
Pensée hat ein Doppelgesicht, wie später die große
Frauenfigur Doña Proëza im Seidenen Schuh: ein
erotisches und ein mystisches. Ihre Blindheit spiegelt
etwas von den menschlichen Liebesbeziehungen
zu Gott wider, die sich in einer "vollkommenen
Nacht" vollziehen.