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Abendstunde im Spätherbst

von Friedrich Dürrenmatt
Utopische Komödie in einem Akt zur Phänomenologie des Schriftstellers

2D, 4H

UA: 17.11.1959, Theater am Kurfürstendamm, Berlin

"Zu Beginn halte ich es für meine Pflicht, Ihnen den Ort dieser vielleicht etwas seltsamen, aber – ich schwöre es – wahren Geschichte zu beschreiben", bezeugt Nobelpreisträger Maximilian Friedrich Korbes, das Whiskey-Glas stets zur Hand, am Anfang dieser "utopischen Geschichte". Wenngleich es nicht ganz ungefährlich sei, wahre Geschichten zu erzählen. Der pensionierte Buchhalter Fürchtegott Hofer, bürgerlich, klein und hager, agiert seit Eintritt in die Rente als Privatdetektiv. Sein Metier sind die Werke des verehrten Kriminalschriftstellers Korbes. Hofer hegt den Generalverdacht, sämtliche Kriminalfälle Korbes’ hätten sich genauso in der Realität zugetragen. In einer Abendstunde im Spätherbst, nach unzähligen erfolglosen Versuchen, gelingt es Hofer schließlich, in Korbes’ Appartement einzudringen, und er offenbart sich sogleich als größter Bewunderer des Schriftstellers. Korbes, überzeugt, der Besucher wolle ihn um Geld bitten, will diesen möglichst schnell wieder loswerden. Doch Hofer lässt sich nicht so leicht abspeisen und offenbart sich als fundamentaler Kenner sämtlicher Werke des Schriftstellers. Korbes, dem es schmeichelt, dass sich jemand so akribisch mit seiner fiktionalen Welt beschäftigt hat, lässt sich das Wissen des Bewunderers ausführlich darlegen. Hofers Fazit, Forbes selbst und kein anderer müsse all diese literarisch verarbeiteten Morde begangen haben, bleibt jedoch nicht ohne Konsequenz für den Laien-Detektiv.

Charmant und redegewandt offenbart Dürrenmatts Nobelpreisträger im Gespräch mit seinem Verehrer die Abgründe seiner Dichter-Existenz, nicht jedoch ohne stets darauf hinzuweisen, dass er im Dienste der Leser handle, die durch ihn erleben möchten, was verboten ist. "Wer will heute noch Erfundenes lesen", fragt der Protagonist; dass der Schriftsteller an Form und Sprache arbeite, nennt er einen "frommen Kritiker-Glauben". Dürrenmatts "Dichter-Parodie" wurde als Hörspiel im Frühjahr 1957 im Norddeutschen Rundfunk zuerst ausgestrahlt, über zwanzig Jahre später arbeitete Dürrenmatt das Hörspiel zur szenischen Farce Dichterdämmerung um.