Bild von Friedrich DürrenmattDürrenmatt, Friedrich

Friedrich Dürrenmatt zählt mit seinen nahezu 30 Stücken zu den bedeutendsten Schweizer Dramatikern des 20. Jahrhunderts. Vor allem in den 50er und 60er Jahren feierte er mit Stücken wie Der Besuch der alten Dame oder Die Physiker Triumphe. Daneben entstanden zahlreiche theatertheoretische Schriften und ein beachtliches erzählerisches, häufig in Justiz- und Kriminalmilieu angesiedeltes Werk.

Der als Sohn eines protestantischen Pfarrers 1921 in Konolfingen bei Bern geborene Dürrenmatt studierte zunächst Germanistik, Philosophie und Naturwissenschaften und wollte Maler werden ehe er sich 1945 endgültig dem Schreiben zuwandte. Interesse für aktuelle gesellschaftspolitische Fragen wie die Wirtschaftswundermentalität oder das atomare Wettrüsten prägte sein Werk trotz mythologischer und historischer Stoffe bis ins hohe Alter, wobei ihn seine pessimistische Weltsicht an der Veränderbarkeit der Verhältnisse eher zweifeln ließ. So bleibt seines Erachtens nach nur die Komödie mit all ihren Zufälligkeiten und Verzerrungen die einzig vertretbare Form der Darstellung einer undurchschaubaren Welt, in der das Individuum seine Machtlosigkeit erlebt.

Nachdem zwischen 1952 und 1962 seine wichtigsten Dramen entstanden waren, war Dürrenmatt danach als Regisseur und Direktionsmitglied am Basler Theater (1967 – '69) und als Berater des Zürcher Schauspielhauses (1970 – '72) tätig und bearbeitete Stücke u.a. von Shakespeare, Lessing, Büchner und Strindberg.

Ende der 80er Jahre zog sich Dürrenmatt nach heftiger kulturpolitischer Polemik vom Theater zurück. Wenige Jahre später starb er am 14. Dezember 1990 in Neuenburg.


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Friedrich Dürrenmatt
Autorenbroschüre
Leben und Werk

 

Der Blinde

Schauspiel
2D, 9H, Statisterie
UA: 10.01.1948, Theater Basel

Deutschland zur Zeit des dreißigjährigen Krieges. Ein erblindeter Herzog sitzt vor den Ruinen seines Schlosses und wähnt sich in der Sicherheit des wiedergefundenen Friedens. Über Zerstörung und Untergang spricht niemand mit ihm, denn sein Sohn Palmedes hält es für ratsam, ihn im Glauben zu lassen, sein prächtiges Reich sei unversehrt. Das Auftauchen eines Unbekannten bringt die Illusion des Sohnes und die vermeintliche Wirklichkeit des Vaters ins Wanken. "Ihr geht an meinem Schloss vorbei, das sich im Abendlicht mit goldenen Dächern und weißen Türmen vor euch erhebt", spricht der Vater den Fremden an. "Ihr seid blind", erwidert dieser und gibt sich mit Namen "da Ponte" als italienischen Edelmann aus. Vom Herzog sogleich zum Statthalter seiner verlorenen Besitztümer gemacht, wird er diesem zum diabolischen Gegenspieler. Da Ponte verurteilt Palmedes' Lüge als verlockendes Spiel und wird zugleich selbst zum Versucher. Die Gläubigkeit des Herzogs missbraucht er und setzt sich zum Ziel, diese zu zerstören. Er schlägt Palmedes nieder, gewinnt die Tochter des Herzogs für sich, den Hofschauspieler weist er an, den Herzog auf seinen Ruinen im Kreis zu führen, um ihm glaubhaft zu machen, er sei jetzt auf der Flucht. Als er dem Blinden den Tod der Tochter als Farce vorspielt, holt die Wirklichkeit die Lüge ein.

Dürrenmatt wählt in diesem frühen Werk eine Trümmerlandschaft als Schauplatz, auf dem der Blinde als mutiger Mensch all sein Vertrauen in den Glauben legt. Sein Glück liegt in der Illusion. Der Reiz in diesem Stück liege darin, "das Wort gegen das Bild zu setzen", schrieb Dürrenmatt in den Anmerkungen zur gesammelten Werksausgabe 1980, was ihm mit dieser Parabel in einprägsamer Weise gelang. Das Kräfteverhältnis zwischen der Macht des Wortes und der Macht des Glaubens auslotend, setzt Dürrenmatt seine Figuren für ein Denkspiel ein, das mit der Setzung, der Glaube wirke unabhängig von seinem Inhalt, Kontroversen unter den Basler Katholiken auslöste. Hanns Uhl schrieb in Der Zeit anlässlich der Uraufführung 1948 am Stadttheater Basel, der „Blinde“ sei ein Leidender unserer Zeit: "Aus Schutt und Trümmern grinst uns das Elend eines verlorenen Krieges entgegen mit all seinen erschütternden Folgeerscheinungen."

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