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08.12.2023, Aachen, Theater

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Zur Urheberrechtsdebatte: Das Ende der Phantasie

 

In der aktuellen Theaterdebatte zum Thema Urheberrecht sind die juristischen Argumente auf der Seite der Autoren, während die coolen, kunstmoralischen allein auf der Seite der Theater zu liegen scheinen. Hier die öden, „kunstfeindlichen“ (M. Kusej) Paragraphenreiter, dort die um die Freiheit kämpfenden Künstler. Wichtig ist die Frage: Wieso genießt der Urheber einen Schutz, und warum ist das keine Behinderung sondern eine Errungenschaft?

1.
Theater ist eine zusammengesetzte Kunstform: Der Regisseur ist ein Künstler, Bühnen-, Kostüm- und Lichtdesigner sind Künstler, Komponisten, Musiker und Schauspieler sind Künstler. Und selbstverständlich sind auch die Schreibenden Künstler. Bertolt Brecht und Tennessee Williams ebenso wie Elfriede Jelinek oder Dea Loher. Sie schaffen den Anlass und die Grundlage für eine Inszenierung. Sie sind, lebendig oder tot, aktiver Teil der Produktion.

2.
Jeder Künstler besitzt eine künstlerische Freiheit. Konflikte ergeben sich dann, wenn die künstlerische Freiheit des einen die des anderen einschränkt.

3.
Zum Schutz dieser künstlerischen Freiheit sind Gesetze (Urheberrecht, Leistungsschutzrecht, Persönlichkeitsrecht) geschaffen worden. Dies ist eine Errungenschaft, sie schützt: vor Willkür, Missbrauch, Zensur, Manipulation. Ohne das Einverständnis des Regisseurs darf kein Intendant eine fertige Inszenierung verändern, z.B. weil er sie publikumswirksamer machen will; ohne das Einverständnis des Autors darf kein Verleger bei Drucklegung entscheiden, einfach ein Kapitel aus einem Roman herauszunehmen, weil es ihm zu anstößig ist, und darf kein Regisseur ein Stück bearbeiten, umschreiben oder ergänzen, um es sich passend zu machen. (Mitunter kommt es zu paradoxen Situationen: In einer Inszenierung wurde eine zentrale Figur eines Stücks ohne Einwilligung der Autorin weggelassen. Die Autorin bestand darauf, dass die Szenen mit der Figur nachträglich eingefügt würden. Darauf beschwerten sich Regisseur und Theater über die „Beschädigung“ der Inszenierung.)

4.
Bei allen Änderungen muss also vorher gefragt werden. Was ist so schlimm daran zu fragen? Meist kommt es zu einer Einigung. Autoren hierzulande erlauben in der Praxis ungemein viel mehr, als in anderen Ländern, wo wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass „sogar“ Regieanweisungen oder Anmerkungen zum Bühnenbild berücksichtigt werden. Es gibt eine jahrzehntelange produktive Entwicklung im Zusammenspiel von szenischer Literatur und modernem Regietheater. Auch die Zusammenarbeit zwischen Bühnenverlagen und Theatern ist viel unkomplizierter, selbst wenn es um Brecht geht. Aber: Fragen birgt natürlich das Risiko, dass Nein gesagt wird. Na und?

5.
Ist das schon die „Behinderung“ (Deutscher Bühnenverein) der Kunstfreiheit? Können manche Regisseure wirklich nur unter der Bedingung der totalen „Textfreiheit“ (Kay Voges, Deutsche Bühne) arbeiten? Sehen manche Regisseure wirklich durch den Autor ihre „Gedankenfreiheit“ (Christoph Leibold, Theater der Zeit) bedroht und wollen vor allem eins: vom Autor „in Ruhe“ gelassen werden (Leander Haußmann, Die Welt)? Wenn dem so wäre, wäre das:

6.
Das Ende der Phantasie. Inszenieren ist immer Interpretieren, das versteht sich. Aber muss man dazu zwangsläufig manipulieren? Kann ein Regisseur nicht interpretieren ohne „Fremdtext“ als Krücke? Kann er der Reibung an Szenen, die ihm nicht passen, nur mehr durch Stückeln, Umschreiben oder Weglassen entgehen statt sie auszuhalten und seine EIGENE Phantasie dagegen zu setzen? Eine Inszenierung mit Textbearbeitung solcher Art ist genauso wenig per se innovativ, wie eine Inszenierung ohne Textbearbeitung zwangsläufig museal.

7.
Wenn der Autor also „Nein“ sagt oder von vornherein sein Recht beansprucht, bestimmte Umgehensweisen mit seinem Werk nicht zu wollen (gegebenenfalls um den Preis, dann eben nicht gespielt zu werden), und wenn der Regisseur damit nicht leben kann: Dann muss dieser ein anderes Stück machen oder selbst eines schreiben oder ohne Text arbeiten.

8.
Wenn das Theater gar nicht erst vorher fragt (oder seine Angaben nicht stimmen), muss es akzeptieren, dass der Autor die Aufführung verbietet. Kommt selten vor, aber so ist es nun mal. Auch Regisseure haben gegen nachträgliche Veränderungen ihrer Inszenierungen geklagt (und Recht bekommen, siehe den berühmten Fall des Leipziger „Bewegungschors“).

9.
Die immer geforderte „freie Benutzung des kulturellen Erbes“ (Voges), die gibt es doch längst: Goethe, Schiller, Kleist, Büchner – Hunderte von Stücken stehen dazu allein in deutscher Sprache zur Verfügung, von Shakespeare, Molière, Ibsen und Tschechow ganz zu schweigen. Aber „Baal“ oder „Endstation Sehnsucht“, Stücke von Sperr, Schwab, Schimmelpfennig, von Sarah Kane oder Dea Loher sollen bereits „kulturelles Erbe“ sein? Wer kennt das denn, außer uns privilegierten Theaterleuten, die in ihrer Arbeits- und Freizeit Texte lesen, die für die Umsetzung auf der Bühne geschrieben sind? In wessen Bücherschrank stehen diese Texte denn „zum Nachlesen“, wenn sie überhaupt im Buchhandel zu kriegen sind? (Und die wenigsten zeitgenössischen Stücke sind das.) Hier wird die Forderung zum Bumerang: Damit ein Werk zum kulturellen Erbe werden kann, muss es nämlich erst gekannt und erkannt werden. Und genau deshalb wird es über einen längeren Zeitraum, weit über den Tod des Autors hinaus, in seinem Bestand geschützt. Das ist das Wesen des Urheberrechts.

10.
Deshalb darf dieses Urheberrecht nicht in Frage gestellt werden.

P.S. Ob ein Autor tot ist oder lebendig, spielt dabei keine Rolle. Autoren haben, zumeist, Testamente gemacht und Menschen ihres Vertrauens ihre Werke überantwortet. Dass ein Autor nicht mehr lebt, berechtigt niemanden, gegen dessen letzten Willen zu handeln.

28.04.2015