(Dom over skrig)
von Christian Lollike
Bericht über eine Gruppenvergewaltigung
Deutsch von Gabriele Haefs
2D, 3H
UA: 25.08.2004, Katapult, Århus
DSE: 21.01.2006, Inkunst e.V., München
Christian Lollikes neues Theaterstück thematisiert
hart und schonungslos die Mechanismen hinter
einer Gruppenvergewaltigung in einer Gesellschaft,
die mehr und mehr von Sex dominiert wird. Fragmentarisch
wird die Geschichte eines fiktiven Vergewaltigungsfalls
aufgerollt und das Leben des Opfers
und der Täter, ihre Gedanken und Persönlichkeiten
vor, während und nach der Tat gezeigt.
Sally stammt aus einem Elternhaus, in dem gewalttätiger
Sex an der Tagesordnung ist. Der Vater begehrt
ihre Freundin, die Mutter schläft mit anderen
Männern. Als Sally mit ihrem Freund Sako und
dessen Kumpel Pael in den Wald geht, bietet Sako
sie als Bezahlung für einen Gefallen erst Pael und
dann als Ersatz für eine offene Rechnung dem gefürchteten
Tao zum Sex an. Am Ende werden es vier
Jungen sein, die das Mädchen vergewaltigt haben.
Als ein alter Mann die Szene entdeckt, wird er von
der Gruppe verprügelt. Im Handgemenge erschießt er zwei der Jungen und wird selbst schwer verletzt.
Der Fall schlägt hohe Wellen in den Medien und
kommt schließlich vor Gericht. Die Jungs behaupten,
Sally habe es Spaß gemacht, weil sie sich während
der Tat nicht gewehrt habe. Der Richter kämpft
mit seinen eigenen sexuellen Fantasien vom willigen
jungen Mädchen, die er von den Medien vorgeführt
bekommen hat. Der Staatsanwalt und die Verteidigung
bringen die in solchen Fällen üblichen
Argumente für und wider die Schuld der Jungen.
Die Mutter vermarktet Sallys Geschichte in einem
Buch. Allein Sally bleibt dabei auf der Strecke: Abgestumpft
lebt sie weiter mit Sako zusammen, der sie
sich fortan mit Pael teilen will.
Das Stück sucht nach den Ursprüngen und Ursachen
für sexuelle Gewalt: im Elternhaus, in den
Medien, in der Natur des Menschen. Die Charaktere
wechseln dabei ihre Rollen von Opfer zu Täter, von
willig zu missbraucht, von Gesetzeshüter zu Verbrecher
und zurück. Sally, die als "Ware" dient, tritt
nicht als Opfer, sondern als Produkt ihres Umfelds
auf. Was geschieht, scheint in ihrer Welt "normal".
In einer Kombination von surrealistischen Elementen
und unangenehm intimem Realismus gelingt
es dem dänischen Autor Christian Lollike, sein Drama
frei von blanker Provokation und Sensationshascherei
zu halten. Mit seiner Mischung aus tragischpoetischen
Passagen, Gossenjargon und durchweg
stark gezeichneten Charakteren führt er vor, wie
sexuelle Gewalt gezüchtet und vermarktet wird und
zu einem Teil unserer "Reality Show"-Welt geworden
ist.